Die postmortale Einsicht in die Behandlungsakte

Immer wieder erlebe ich es, dass Menschen nach dem Tod eines nahen Verwandten Auskunft über die Todesursache haben möchten. Ihr bekommt eine Kopie der Behandlungsakte aber nur, wenn Ihr entweder Eure Erbenstellung nachweist oder ein immaterielles Interesse geltend macht.

Vergesst also bitte nicht mitzuteilen, warum Ihr in die Akte schauen wollt. Dabei genügt jedes nachvollziehbare immaterielle Interesse, also z.B. dass Ihr wissen möchtet, wie es der Mutter, dem Vater, Bruder, Schwester etc. in den letzten Stunden ergangen ist. Auch wer befürchtet, eine genetische Erkrankung geerbt zu haben oder später ebenfalls an Krebs etc. zu erkranken, darf in die Behandlungsakte schauen. Ausnahme: Die oder der Verstorbene hat zu Lebzeiten ausdrücklich geäußert, dass das nicht passieren soll.

Also traut Euch ruhig, nach Unterlagen Eurer verstorbenen nahen Angehörigen zu fragen. § 630g Abs. 3 S. 2 BGB gibt Euch ausdrücklich dieses Recht.

Nahe Angehörige sind übrigens nirgends definiert, in der Praxis aber die Kernfamilie (Großeltern, Eltern, Kinder, Geschwister). Schwipp-Schwager und die Nachbarn vom Friseur der Grundschullehrerin bekommen die Akte natürlich nicht zu sehen.

Und stellt Euch bitte keinesfalls selbst nachträglich irgendwelche Vollmachten aus. Das kann gewaltig schief gehen!

(Bild: roma1880 / Pixabay)

Weihnachtsmann und Christkind

Während meiner Kindheit an der deutschen Nordseeküste war die Sache ganz klar: An Heiligabend kommt der Weihnachtsmann mit seinem roten Mantel und einem großen Sack und beschenkt die Kinder. Natürlich hatte er auch eine Rute dabei, um die bösen Kinder zu bestrafen. Bisweilen übernahm das allerdings auch sein jutesackbraun gekleideter Gefährte Knecht Ruprecht.

Schon als Kind hörte ich davon, dass in anderen Gegenden nicht der Weihnachtsmann, sondern das Christkind die Kinder beschenkt. Aber was sollte das eigentlich sein, dieses ominöse Christkind? Wohl eine katholische Konkurrenz zum evangelischen Weihnachtsmann. Diese war aber wohl nicht ganz bibelfest, denn das Jesuskind lag in der Krippe und war bis Ostern erwachsen geworden, gekreuzigt und wiederauferstanden. Das Christkind konnte also nicht identisch mit Jesus Christus sein.

Erst als Erwachsener hörte ich von Angriffen auf den Weihnachtsmann. Vielleicht kennen die Kritiker des Weihnachtsmanns die christliche Entstehungsgeschichte des niederländischen Sinterklaas und späteren angelsächsischen Santa Claus nach dem Vorbild des heiligen Nikolaus von Myra nicht. Auch wird das bischöfliche Purpur des Mantels des Weihnachtsmannes, das auf die Gewänder der altrömischen Oberschicht zurückgeht, oft unzutreffend mit dem profanen Rot der Limonadenmarke Coca-Cola verwechselt. Das Unternehmen wirbt schließlich gerne mit dem Weihnachtsmann.

Gelernt habe ich als Erwachsener auch, dass das Christkind einst eine ebenfalls protestantische Erfindung war. Als kindlich-engelartige Allegorie des Weihnachtsfestes fand es allerdings vor allem in katholischen Gegenden schnell Anklang. Auch das Christkind bringt die Weihnachtsgeschenke mit, benötigt anders als der Weihnachtsmann dafür aber keinen großen Sack und klettert auch nicht auf Hausdächer und durch Schornsteine.

Wer ist nun vorzugswürdiger – das Christkind oder der Weihnachtsmann? Meine Antwort darauf fällt ganz eindeutig aus: Weihnachten ist, aus vielen Gründen, das schönste Fest des Jahres. In einer Welt voller Machtstreben, Krieg, Profitgier und Katastrophen braucht es nicht weniger, sondern mehr Weihnachten – und mit dem Fest den Weihnachtsmann und das Christkind. Beide Traditionen haben ihren Platz, weil sie uns (trotz der heutigen Überbetonung des Schenkens) daran erinnern, dass im Leben noch mehr zählt als Gewinnstreben, Erfolg im Job und materieller Besitz.

Die Christen glauben daran, dass an Weihnachten Gott als verletzlicher Mensch in die Welt gekommen ist, um die Menschheit zu erlösen. Daran kann oder will nicht jede*r glauben. Es lohnt sich aber gerade in der Weihnachtszeit, darüber zu reflektieren, was im Leben wichtig und sinnvoll ist und wie wir die Zeit gestalten wollen, die uns gegeben ist. Und sich über die schönen Dinge des Lebens zu freuen. Ich wünsche Ihnen und Euch ein frohes Weihnachtsfest – ganz gleich, wer zuhause die Geschenke bringt!

Kafka und das Gesundheitsamt

Der folgende Text ist ein Gastbeitrag einer Lehrerin aus Süddeutschland, die anonym bleiben möchte. Sie ist an Corona erkrankt und schildert ihre Erfahrungen mit der Gesundheitsbürokratie.

Ich bin krank. Nach zwei positiven Selbsttests kann ich wohl davon ausgehen, dass ich mir irgendwo Covid geschnappt habe. Auch wenn sich das für manche scheinheilig anhört: Ich weiß nicht, wo ich mir das gefangen haben könnte. In der Schule testen wir regelmäßig und da war niemand positiv.

Privat habe ich niemanden getroffen – abgesehen von meinen arg pflegebedürftigen Eltern. Ich war nur Lebensmittel einkaufen mit FFP2, wie es sich gehört. Ich versuche beim Einkauf auch immer die publikumsintensiven Zeiten zu meiden, was mir einen gewissen Abstand zu anderen Menschen erst ermöglicht.

Mir geht es den Umständen entsprechend recht gut. Ich bin zwar schlapp und kränklich, bislang habe ich aber nicht das Gefühl, als könnte das noch lebensbedrohliche Züge annehmen. Womöglich liegt das auch an der ersten Impfdosis, die ich bereits intus habe. Außerdem habe ich kein Problem mit der Isolation, da ich sowieso allein lebe.

Es begann am Mittwoch. Morgens wurde ich zusammen mit den Kindern noch negativ getestet. Mittags bin ich zu meinen Eltern gefahren. Im Laufe des Nachmittags entwickelte ich leichte Erkältungssymptome. Ich dachte mir wenig dabei, hatte ich doch vom Morgen noch den negativen Test. Trotzdem habe ich mich vorsichtshalber mal isoliert (ich bin also schlicht nachhause gefahren). Abgesehen von der einen Stunde am Mittwoch habe ich keinen Präsenzunterricht, da fällt die Selbstisolation leicht.

Am Freitag habe ich erneut einen Selbsttest gemacht, am Samstag nochmal wiederholt und der T-Strich nahm an Deutlichkeit zu. Bislang fehlt der Geschichte noch die echte Dramatik… kommt jetzt:

Meine Eltern sind beide Ü80 und daher in Prio 1. Das hat meinen Vater aber nicht davon abgehalten, zu bocken und die Impfung abzulehnen. Mein Sohn – der zwischenzeitlich gerichtlich bestellter Betreuer meines Vater ist – hat angefragt, ob mein Vater nicht im Klinikum geimpft werden könne. Nebenbei wäre es tatsächlich sehr schwierig gewesen, meinen immobilen Vater ins Impfzentrum zu wuchten. Aus nicht nachvollziehbaren Gründen können stationär aufgenommene Patienten nicht geimpft werden. Personal ja – Hausärzte dürfen auch impfen… mein Vater war also ungeimpft. Es kam also, wie es kommen musste: Ich habe ihn angesteckt. Gestern hatte er einen positiven Selbsttest. Offenbar war er noch symptomfrei, aber meine Hauptsorge gilt momentan bestimmt nicht meiner eigenen Gesundheit.

Was ich damit zum Ausdruck bringen will: Es ist ein Märchen, dass man sich genügend selbst schützen kann, solange man die gängigen AHA-Regeln einhält. Das Virus passt sich durch seine Mutanten den Umständen wesentlich schneller und effektiver an, als wir mit Desinfektionslösung kontern können. Warum kann man keine stationären Patienten impfen? Und um endlich auf den Punkt zu kommen: Da ich am Freitag erst gegen 18 Uhr positiv getestet wurde, war auch das Faxgerät des Gesundheitsamts schon im Wochenende.

Das Wort kafkaesk konnte ich noch nie leiden. Wenn es jemand verwendet, dann denke ich heimlich: „Ja, du Wichtigtuer, wir wissen jetzt, dass du Abitur hast. Komm endlich auf den Punkt!“ Was ich heute erlebt habe, kann ich aber wirklich nur mit kafkaesk umschreiben. Nach vielen Telefonaten habe ich extrem widersprüchliche Informationen und Anweisungen erhalten. Der genaue Ablauf spielt nur eine untergeordnete Rolle. Ich erzähle einfach in Stichpunkten.

  • Das Gesundheitsamt fordert einen PCR-Test zur Bestätigung der vorläufigen Selbstdiagnose.
  • Der Hausarzt testet nicht.
  • Am Stadion ist die einzige PCR-Teststation der Stadt, die testen aber keine Menschen mit Symptomen.
  • Das Gesundheitsamt meint, der ärztliche Notdienst sei zuständig.
  • Der ärztliche Notdienst meint, das Gesundheitsamt sei zuständig… oder vielleicht auch die Kassenärztliche Vereinigung.
  • Die Kassenärztliche Vereinigung meint, ich sei selbst zuständig
  • Ich: WTF?
  • Gesundheitsamt: Fahren Sie doch mit einem Spezialtaxi zu irgendeiner Praxis.
  • Taxiunternehmen: Ja, das kostet aber extra. Lassen Sie sich einen Krankentransportschein vom Hausarzt ausstellen.

Es ist 12:09 Uhr. In der Hausarztpraxis erreiche ich keinen mehr.

  • Neue Information vom Gesundheitsamt über meine Chefin: Mit dem Taxi fährst du überhaupt nirgendwo hin. Da muss jemand zum Testen zu dir kommen. Die erste gute Nachricht heute.
  • Eigentlich ist mir der PCR-Test völlig wumpe. Ich weiß ja, dass ich krank bin. Darf ich bitte wieder ins Bett?
  • Schicksal: nö!
  • Chefin: Wir brauchen den PCR-Test, weil wir sonst die Kinder, mit denen du letzte Woche Montag und Mittwoch Kontakt hattest, nicht in Quarantäne schicken können.

Aha … und dann? Wie viele Kontakte hatten die wohl in der ganzen Woche? Wozu testen wir die alle zwei Tage?

Ich habe momentan kein Auto, kann also auch zu keiner Praxis fahren. Und selbst wenn ich ein Auto hätte, bezweifle ich, dass ich voll verkehrstüchtig bin.

  • Ärztlicher Notdienst: Sie könnten mit dem Fahrrad zur M. Straße fahren. Dort gibt es eine Praxis, die testet.
  • Ich (nur in meinem Kopf): Gute Idee! Da kann ich gleich noch beim McDonald’s ein McRib-Menü mit Fritten und Cola holen.
  • Ich (die Contenance ließ auch das in meinem Kopf): Sind Sie komplett bescheuert? Ich soll hochinfektiös durch die Gegend radeln und mich dann von dem Arzt anraunzen lassen, wie ich auf so eine dämliche Idee komme?
  • Ich (soweit reichte die Contenance dann doch nicht mehr): Da habe ich ja mal Glück gehabt, dass ich nicht operiert werden muss. Sonst müsste ich am Ende die Wundhaken noch selbst halten.

Interessant, wie man anderer Leute blöden Blick durch das Telefon zu sehen glaubt.

  • Chefin: Neuer Twist vom Gesundheitsamt. Du bekommst eine Ausnahmegenehmigung und darfst dich am Stadion testen lassen. Der Sohn bekommt auch eine Ausnahmegenehmigung, dass er dich fahren darf. Geh bitte gleich zur Online-Terminvereinbarung!
  • Online-Terminvereinbarung: Heute sind keine Termine mehr verfügbar.
  • Gesundheitsamt: Aber wir brauchen den Test noch heute. Nein, wir haben keinen Einfluss auf die Terminvergabe.

Inzwischen ist es 15:30 Uhr. Ich habe den ganzen Tag noch nichts weiter gemacht, als mich um diesen blöden PCR-Test zu bemühen, der zwar gesetzlich vorgeschrieben ist, es aber offenbar dennoch Neuland für alle Beteiligten ist.

Immerhin habe ich ganz tolle Genehmigungen. Wie war das nochmal mit diesem praktischen Arzt? In keiner der Praxen der Gemeinschaft B. geht auch nur irgendwer ans Telefon. Ich habe mich heute acht Stunden lang um den blöden PCR-Test bemüht. Für morgen 8:15 Uhr habe ich einen Termin am Stadion. Das diabolische Männchen in meinem Inneren ruft: „Du hättest ja keinem sagen müssen, dass du Symptome hast. Dann hätte es heute früh nur fünf Minuten gedauert, den Termin zu bekommen.“

Gegessen habe ich heute auch noch nichts. Gut, dass ich im Grunde meines Herzens ein friedfertiger und kooperativer Mensch bin. Aber heute stimme ich Goethe zu: Ich kann mir kein Verbrechen vorstellen, das nicht auch ich hätte begehen können! Sollte das alles nur ein Trick sein, um die Infektionszahlen gering(er) zu halten?

  • Chefin: Schöne Grüße von der Frau Gesundheitsamt. Warum hast du nicht gleich am Freitag angerufen? Ich habe ihr gesagt, das hättest du gemacht und nur noch das Ansageband erreicht. Ihr Kommentar: Ach ja, das stimmt natürlich.

Vierundzwanzig Stunden nach dem Test kam eine Rückmeldung seitens des Gesundheitsamts. Freundlicherweise haben sie direkt meine Chefin informiert – nicht etwa mich.

Hätte nicht jeder vernünftige Mensch an einem Punkt gesagt: Ich habe eine meldepflichtige Krankheit gemeldet und bin daher raus aus der Nummer. Liegt die Pandemiebekämpfung tatsächlich auf den Schultern der Patienten?

 

Das Coronavirus in der Patientenverfügung

Je mehr Menschen sich mit dem Corona-Virus infizieren und je stärker das Virus mutiert, desto häufiger ist mit schweren Krankheitsverläufen zu rechnen. Viele dieser schwer erkrankten Patienten werden beatmungspflichtig, was in manchen Fällen sogar einen wochen- oder sogar monatelangen Gasaustausch des Blutes durch eine Maschine (so genannte extracorporale Membranoxygenierung, ECMO) notwendig macht.

Wer eine solche Behandlung bei schlechter Prognose trotz der dadurch entstehenden Gefahr für das eigene Leben ablehnt, hat die Möglichkeit, dies in einer Patientenverfügung festzulegen. Die Patientenverfügung ist, nicht zuletzt aufgrund der jüngeren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, mit vielerlei rechtlichen Problemen verbunden. Sie verlangt dem medizinischen Behandlungsteam zudem eine Auslegung mit oft schwersten Folgen ab. Dabei kannten die Behandler den betroffenen Patienten und seine Einstellung zu Leben, Krankheit und Tod vor der Behandlung zumeist persönlich nicht.  Vorteilhaft ist es deshalb, eine Patientenverfügung mit einer Vorsorgevollmacht und/oder einer Betreuungsverfügung zu verbinden, so dass im Idealfall eine Person mitberaten und -entscheiden kann, die den Patienten und seine Wünsche kennt.

Grziwotz/Grziwotz weisen in ihrem Aufsatz „CoronaPatientenverfügung und Triage“ (in NZFam 2021, 189, 191) zutreffend darauf hin, dass die üblichen im Internet und im Buchhandel kursierenden Vordrucke für eine Patientenverfügung nur in aussichtslosen Situationen am Lebensende Anwendung finden. Deshalb verbietet sich ihre Berücksichtigung für Entscheidungen über eine Beatmung bei der üblichen Corona-Behandlung sowie im Rahmen einer Triage.

Es stellt sich daher die Frage, wie eine Formulierung in einer Patientenverfügung aussehen kann, die berücksichtigungsfähig ist, wenn der unmittelbare Sterbeprozess noch nicht eingesetzt hat. Das Selbstbestimmungsrecht sollte meiner Ansicht nach nämlich auch in dem Fall Berücksichtigung finden, dass ein Patient bei einer schlechten medizinischen Prognose für sich eine potentiell langwierige Beatmungstherapie ablehnt.

Zusammen mit einem befreundeten Krankenhausarzt, der diese Entscheidung für sich so getroffen hat, habe ich den folgenden Text für eine Patientenverfügung entworfen, den ich hier gerne mit Kolleginnen und Kollegen aus dem rechtlichen und medizinischen Bereich sowie allen Interessierten teilen und zur Diskussion stellen möchte:

 

Im Falle eines schweren Infektionsverlaufes mit erheblicher Einschränkung des pulmonalen Gasaustausches wünsche ich auch dann, wenn ich mich noch nicht im unmittelbaren Sterbeprozess oder im Endstadium einer unheilbaren, tödlich verlaufenden Krankheit befinde, eine künstliche Beatmung nur dann, wenn nach aktuellem Stand des medizinischen Wissens und der ärztlichen Erfahrung diese Maßnahme eine vorübergehende therapeutische Option darstellt und mit einem Wiedererwachen und einer Verbesserung der Lungenfunktion mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gerechnet wird.

Mir ist bewusst, dass das Unterlassen bzw. die Beendigung der künstlichen Beatmung für mich Lebensgefahr und den Tod zur Folge haben kann. Dies nehme ich in Kauf.

Sollte sich unter einer invasiven Beatmung und allem sonstigen intensivmedizinischen Bemühen keine Verbesserung oder gar eine Verschlechterung des pulmonalen Gasaustausches oder jedweder anderen Organfunktion einstellen, so wünsche ich, dass die Therapie beendet wird. In diesem Fall sollen dann alle palliativmedizinischen Maßnahmen ergriffen werden, um mir Schmerzen, Luftnot, Angst oder sonstige Leiden zu nehmen. Sollten hierbei Medikamente eingesetzt werden, welche mein Bewusstsein dämpfen oder atemdepressive Wirkung haben und hieraus eine ungewollte Verkürzung meiner Lebenszeit resultiert, so nehme ich dieses in Kauf.

Eine extracorporale Membranoxygenierung (ECMO) wünsche ich ausdrücklich nicht.

 

Diese Formulierung ist noch nicht in der Praxis erprobt und daher auch noch nicht durch die Rechtsprechung abgesichert. Wenn Sie sie für sich verwenden wollen, so geschieht dies auf Ihre eigene Gefahr!

Der Wortlaut geht deutlich über den üblichen Anwendungsbereich der bisherigen Patientenverfügungen hinaus, indem er ihn auf eine präterminale Beatmungssituation einer schweren pulmonalen Erkrankung vorverlagert. Meines Erachtens ist dies allerdings von der Legaldefinition des § 1901a Abs. 1 und 3 BGB umfasst, weil die Norm Einwilligungen und Untersagungen in alle Arten von Untersuchungen, Heilbehandlungen und ärztliche Eingriffe vorsieht. Dies ist ein direkter Ausfluss des grundrechtlich abgesicherten Selbstbestimmungsprinzips über den eigenen Körper. Außerdem ist jede Patientenverfügung darauf zu überprüfen ist, ob ihr Wortlaut auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutrifft.

Auch dieser Formulierungsvorschlag enthält natürlich Unsicherheiten – was genau ist unter einer Verbesserung, was unter einer Verschlechterung des pulmonalen Gasaustauschs und anderer Organfunktionen zu verstehen? Wie begründet sich die Prognoseentscheidung für oder gegen ein Wiedererwachen des Patienten? Und kann man den Abbruch einer Beatmung dem Unterlassen von Anfang an einfach so gleichstellen? All diese Frage stellen sich auch in anderen Fallkonstellationen, in denen eine Patientenverfügung vorhanden ist. Sie müssen individuell und eng am jeweiligen Sachverhalt beantwortet werden.

Meine Seminare zu den Vorsorgedokumenten schließe ich immer mit der Bemerkung, dass Patientenverfügungen imperfekte Instrumente für imperfekte Situationen sind. Sie sind aber das Beste, das wir derzeit tun können, um unsere Wünsche durchzusetzen, falls wir in eine gesundheitliche Situation kommen, in der wir unseren Willen selbst nicht mehr äußern können.

„Irgendwas hat jeder, und das ist vollkommen okay.“

TRIGGERWARNUNG: In diesem Beitrag geht es um die Erkrankung an einer Depression! Haben Sie Suizidgedanken? Unter 0800-1110111 erreichen Sie die Telefonseelsorge. Sie können auch den Rettungsdienst unter 112 oder eine psychiatrische Einrichtung in Ihrer Nähe kontaktieren. Sie finden auch bei Frans-hilft.de weitere Informationen.

 

Von außen betrachtet führt der Rechtsanwalt, Blogger und Twitterer Byung Jin Park alias @herrpandabaer ein erfolgreiches und glückliches Leben. Als Kind koreanischer Eltern, die aus beruflichen Gründen von Seoul nach Südhessen umzogen, erlebt er zwar zunächst einen Kulturschock. Doch er gewöhnt sich schnell ein und erlernt die deutsche Sprache. Dann absolviert er erfolgreich das Gymnasium, bekommt Klavierunterricht, treibt Sport und wird zunächst Jurastudent und dann Rechtsanwalt. Er verliebt sich, heiratet und wird bald Vater einer kleinen Tochter. In einer Wirtschaftsrechtskanzlei gewinnt er das Vertrauen seiner Mandanten und gilt schnell als zuweilen „giftiger“, aber auch zupackender und erfolgreicher Rechtsanwalt.

Das alles klingt nach einem glücklichen und gelingenden Leben – jedoch nur nach außen. Innerlich fühlt sich Park schon lange leer und verzweifelt. Darüber hat er mit „Ins Leere gelaufen“ ein autobiographisches und schonungslos ehrliches Buch geschrieben, das soeben im Münchner mvg Verlag erschienen ist.

Park beschreibt, wie die Beziehung zu seiner Ehefrau in die Brüche geht, seine körperliche Konstitution immer schwächer und sein Körpergewicht immer höher wird, dass er nachts keinen Schlaf findet und ihm das Aufstehen immer schwerer fällt. Seine Krankheitstage häufen sich, selbst einfache Arbeiten wie das Öffnen der täglichen Post kosten ihn immer mehr Kraft. Manchmal kommt er überhaupt nicht mehr aus dem Bett, aber je matter sein Körper ist, desto stärker arbeitet sein Geist gegen ihn – mit Ängsten, Selbstvorwürfen, Albträumen und Panikattacken.

Beruflich kann Park das Schlimmste abwenden: Er wechselt zwar mehrfach die Stelle, verdient aber immer genug, um sich und seine Familie über Wasser zu halten. Privat verliert er jedoch fast alles: Den Kontakt zu Eltern und Schwester hatte er schon vor Jahren abgebrochen, nun geht seine Ehe in die Brüche. Park muss aus seinem Haus ausziehen und kommt, nur mit einer Sporttasche und zwei Anzügen als Gepäck, in einer WG unter.

Park hat in dieser Situation allerdings mehrfach Glück: Eine Therapeutin, die er eigentlich wegen der Beziehungsprobleme mit seiner Ehefrau aufsucht, konfrontiert ihn mit einer überraschenden Diagnose – Depression. Park reagiert zunächst abwehrend, spürt aber schnell, dass die Diagnose stimmen könnte. Auf Twitter lernt er eine junge Frau kennen, die ihm zunächst Trost spendet und die dann erst zu seiner Freundin und dann zu seiner Lebenspartnerin wird. Sie und ihr Umfeld bringen Park dazu, die Notwendigkeit einer Therapie einzusehen. Eine psychiatrische Privatklinik am Chiemsee hat schnell einen Platz für ihn.

In dieser Klinik am Chiemsee spielt der Hauptteil des Buches: Der gequälte Rechtsanwalt beginnt mit einem intensiven Therapie- und Trainingsprogramm. Durch körperliche Anstrengungen werden sein Körper wieder fitter und sein Geist klarer. An einem Tag zu Beginn der Therapie erkennt der Autor erleichtert:

„Irgendwas hat jeder, und das ist vollkommen okay.“

Die Beschäftigung mit seiner Umwelt, mit Musik, Tanz, Sport und seinen Mitpatienten sowie die therapeutischen Gespräche führen bei Park binnen kurzer Zeit zu einem Perspektivwechsel: Er sieht nicht mehr nur seine Defizite, sondern lässt die Erkenntnis zu, dass er ein beruflich und privat durchaus erfolgreicher Mensch ist, der stolz auf sich sein und seine eigenen Fehler verzeihen darf. Es gelingt ihm, seine negativen Gefühle wie z.B. seine Wut zu erkennen und ihnen einen Platz in seinem Denken zuzuweisen, ohne sich von ihnen überwältigen zu lassen. Dabei findet Park während seines Heilungsprozesses immer wieder gelungene sprachliche Bilder, die den nicht-depressiven Leserinnen und Lesern einen gewissen Einblick in die Mechanismen der Erkrankung geben.

Die Lektüre des Buches ist trotz des bedrückenden Themas ein Vergnügen. An keiner Stelle wirkt der Autor weinerlich oder anklagend und geht allenfalls mit sich selbst ab und an etwas zu hart ins Gericht. An manchen Stellen blitzt ein messerscharfer Verstand auf, und trotz vieler schmerzvoller Schilderungen gibt es immer wieder humorvolle Stellen. Wenn Park über die Beziehung zu seiner kleinen Tochter reflektiert oder das Erleben von Deutschen mit Migrationshintergrund beleuchtet, erfährt der Leser die tiefe Humanität und Menschenfreundlichkeit des Autors. Es ist kein Wunder, dass es Park gelungen ist, auf Twitter und im richtigen Leben trotz seiner Depression vielfache Freundschaften zu schließen und zu bewahren – mit einem solchen Menschen möchte man einfach befreundet sein.

Am Ende des Buches beschreibt Park, dass er seine Krankheit wie die meisten Menschen, die an Depressionen leiden, nicht vollständig überwunden hat. Es ist ihm aber gelungen, Routinen zu entwickeln, um nicht mehr in die dunkle Leere zu laufen. Dazu gehören sportliche Aktivitäten, aber auch der wiedergefundene Kontakt zu seinen Eltern sowie die Veränderung seiner Arbeitsumstände als Rechtsberater. Dass Park trotz seiner Erkrankung ein Hochleister ist, zeigt sein Rekord-Klinikprogramm – er bucht quasi alle verfügbaren Kurse, macht Zusatz-Sporttrainings, veranstaltet schon nach kurzer Zeit Musikabende für seine Mitpatienten, schreibt Dankesbriefe an einen Großteil des Personals und dann auch noch ein Buch über seine Erfahrungen.

Der Autor weist am Schluss selbst darauf hin, dass er nur von einer leichten Form der Depression betroffen ist. Da das Buch rein autobiographisch ist, gewinnt der Leser auch keinen Einblick in stationäre Psychotherapien in öffentlichen Krankenhäusern, medikamentöse Therapien, schwerere Verlaufsformen und die leider häufige Suizidproblematik bei Depressionen. Das macht die Lektüre aber nicht weniger wertvoll. Park geht es nämlich auch darum, für einen offenen und nicht stigmatisierenden Umgang mit der Depression zu werben. Die Seele kann genauso erkranken wie der Körper, und eine psychische Krankheit macht ihn nicht zu einem schlechteren Rechtsanwalt, Vater oder Menschen. Es ist daher zu wünschen, dass diesem rundum empfehlenswerten Buch viele Leserinnen und Leser beschieden sein mögen.

Byung Jin Park: Ins Leere gelaufen. Wie ich meine Depression überwand und mich selbst neu kennenlernte, mvg Verlag München , 239 Seiten, 14,99 €

Wieder mal Fanpost

Eigentlich sollte auf diesem Blog heute die Rezension eines frisch erschienen Buches zur politischen und staatsrechtlichen Situation in der Corona-Krise erscheinen – aber die muss leider noch ein paar Tage warten. Ich bin nämlich wieder einmal in einen veritablen Shitstorm des rechten Randes geraten, weil ich es gewagt habe auszusprechen, dass sich Polizisten nicht von einem wütenden rechten Mob zusammenschlagen lassen müssen, wenn sie auf einer verbotenen Demonstration ihren Dienst tun. An dieser Stelle übrigens gute Besserung an die zwölf verletzten Beamten!

Wie es mit diesen Shitstorms so ist, gerät der (häufig intellektuell nicht auf besonderer Flughöhe befindliche) Mob ziemlich schnell in Empörung, und dann haut er in die Tasten. Zumeist geschieht das zunächst direkt auf Twitter, dann schwappt die Empörung auf Facebook über, und an guten Tagen verschwenden sogar ausgeflippte YouTuber mit zuviel Tagesfreizeit ihre Energie mit meiner Person. Mir soll es recht sein – eine bessere Werbung als die Empörung angebräunter Illiterati gibt es nicht.

Einigen Zeitgenossen gefällt es auch, mir Direktnachrichten und E-Mails zu schreiben. Ein besonders schönes Exemplar hat mich heute Abend vom Info-Account des Gasthofs „Zum Rassen“ in Garmisch-Partenkirchen erreicht. Ausweislich der Google-Rezensionen werden dort die Gäste schon einmal beschimpft, sie würden „zuviel ARD und ZDF schauen“, wenn sie sich darüber beschweren, dass das Personal den Mund-Nasenschutz nachlässig trägt. Schulen wollen im Gasthof „Zum Rassen“ ihre Feiern nicht mehr abhalten, weil die rechtsextreme AfD dort regelmäßig ihre Versammlungen abhält und der Wirt das ganz normal findet. Eben dieser Wirt hat mir heute geschrieben, dass Parasiten (und damit meint er mich) vernichtet gehören. Immerhin im schönsten Latein, aber nicht weniger unfreundlich. Ich kannte den Gasthof „Zum Rassen“ bis heute nicht, empfehle aber unbedingt, dort einmal bei Gelegenheit hinzugehen und dem Wirt zu sagen, was man von derlei Verhalten hält.  Man muss ja weder etwas konsumieren noch dort nächtigen. Alternativ kann man einen Kommentar auf einem der vielen Bewertungsportale abgeben – auf HolidayCheck schmückt sich der Gasthof „Zum Rassen“ zum Beispiel derzeit bereits mit stolzen 2,7 von 6 Sternen.

Ein weiterer freundlicher Zeitgenosse ist Herr Axel Purschke, der mir unter seiner E-Mail-Adresse schokokuss@freenet.de heute die folgenden Zeilen zukommen ließ (man beachte einige interessante Schreibweisen, alle im Original):

 

Von: schokokuss@freenet.de
Datum: 14.03.2021 15:56
Betreff: Hetze gegen Andersdenkende –

Lieber Herr Säfken!

Wie bitte,die CDU ist Rechts??? Die CDU ist dank der Stasimerkel zu einer Linken Dreckspartei verkommen!!! Als konservativer Wähler wähle ich nur noch AfD!

Was hat denn die durchgeknallte Merkel gemacht??? Das Land seit 2015 mit Kuffnucken aus aller Herren Länder geflutet, die uns mächtig auf der Tasche liegen und ganze Städte verkommen lässt!!!

In Österreich hassen die Bürger Frau Merkel,denn auch Österreich hat unter der Masseneinwanderung zzu leiden!

Dann fordern Sie noch das die Polizei gegen Andersdenkende Coronademonstranten die Schusswaffen einsetzt???

Spinnen Sie??? Pfui deibel,schämen Sie sich!!!

Ich hoffe das Ihr Volksverräter eines Tages zur Rechenschaft gezogen werdet!

Würden Sie jetzt vor mir stehen würde ich sie kräftig Ohrfeigen!

Der gute Franz Joset Strauss hätte so charakterlos verkommene Subjekte wie Sie zum Teufel gejagd!

Alex Purschke

 

Es ist immer wieder erhellend, den rechten Rand dieses Landes in Aktion zu erleben. Da ich dafür nur begrenzt Zeit und Nerven habe, werde ich mich gegenüber diesen herausragenden Menschen in Zukunft wieder stärker abschotten. Die Einsicht in den alltäglichen Rassismus, die Brutalität und Abgestumpftheit dieser Zeitgenossen bestärkt mich allerdings darin, auch weiter gegen Schwurbelei und Rechtsextremismus aktiv zu bleiben. Das gebietet schon die staatsbürgerliche Verantwortung.

Und wieder grüßt das Murmeltier: Twitter sperrt

Twitter ist offensichtlich vom kleinen Vögelchen zu einem ziemlich dusseligen Murmeltier mutiert: schon wieder sperrt es grundlos. Diesmal hat es mich für einen sarkastischen Tweet aus dem Jahre 2018 blockiert, in dem ich einem Troll geantwortet habe, der der Meinung war, dass sich Opfer von Gewalt nicht so anstellen sollten. Das ist nun schon das zweite Mal, nachdem ich beim ersten Fall mit meiner Abmahnung erfolgreich war.

Gestern Abend erreichte mich nun die folgende Nachricht:

Ein Algorithmus kann wahrscheinlich weder den Kontext noch den Sarkasmus in meiner Aussage erkennen. Menschen, die das könnten, sind Twitter offensichtlich zu teuer.

Wieder sperrt Twitter den Account, ohne dies anderen Nutzern kenntlich zu machen. Wieder nimmt Twitter dem Nutzer die Möglichkeit, zumindest private Nachrichten zu empfangen und zu versenden. Wieder reagiert Twitter nicht zeitnah auf die Beschwerde und nimmt keine individuelle Prüfung vor.

Dieses rechtswidrige Verhalten wird zu unterbinden sein. Ich selbst bin nur einer von tausenden oder mehr Betroffenen. Es wird Zeit, dass sich diese zusammentun und ein Legal Action Team gründen, das Twitter dort trifft, wo es richtig weh tut: bei den Einnahmen.

Schluss mit dem Faschismus!

Philipp Ruch, der Gründer und künstlerische Leiter des Zentrums für politische Schönheit, hat ein Buch mit dem Titel „Schluss mit der Geduld. Jeder kann etwas bewirken. Eine Anleitung für kompromisslose Demokraten“ vorgelegt. Wahrscheinlich handelt es sich um das wichtigste deutschsprachige politische Buch dieses Jahres.

Ruch skizziert zunächst den Aufstieg der AfD, die er zutreffend als faschistisch charakterisiert. Der Autor wertet an vielen Stellen des Buches seine Lektüre des Jahrgangs 1932 der politischen Zeitschrift „Weltbühne“ aus, und die Ähnlichkeiten zwischen den handelnden Akteuren der NSDAP und der AfD sind frappierend. Die Faschisten der damaligen Zeit haben mit den heutigen eine Gemeinsamkeit: Sie sprechen offen aus, was sie vorhaben, wenn sie einmal an die Macht kommen. Normale Menschen nehmen Forderungen wie die Vernichtung der europäischen Juden oder die Vertreibung aller Migranten aus Deutschland zunächst nicht ernst, weil sie sie zu absurd und lächerlich finden – ein schwerer Fehler, wie uns die Geschichte lehrt. Ruch schildert detailliert, wie sehr sich die Aussagen eines Höcke oder eines Kalbitz an jene von Hitler und Himmler anlehnen. Er zeigt auch, dass es die heutigen Faschisten mit ihren verfassungsfeindlichen Ideen eines völkischen Nationalstaats mit einer homogenen Volksgemeinschaft nicht aus eigener Kraft schaffen, an die Macht zu kommen. Sie benötigen dafür die Inszenierung eines Bürgerkrieges. Die ersten Anzeichen sind mit den Hetzjagden von Chemnitz (wie anders sollte man diese skandalösen Vorgänge bezeichnen) und dem Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke deutlich erkennbar. Die heutige SA nennt sich „Combat 18“, „Adolf-Hitler-Hooligans“, „NS-Boys“ oder „Hoonara“ (Hooligans, Nazis und Rassisten). Unterstützt werden die Rechtsextremisten von Bewunderern in Polizei und Verfassungsschutz, die dem demokratischen Rechtsstaat zwar Treue geschworen haben und von ihm leben, ihn jedoch innerlich verachten. Das prominenteste Beispiel hierfür ist der ehemalige Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen – der wohl größte Bock, der in diesem Land jemals zum Gärtner gemacht wurde.

Weil die Faschisten aus AfD, NPD, Identitären usw. allein niemals stark genug sind, um den demokratischen Rechtsstaat zu stürzen, bedienen sie sich politischer Unruhen. Wenn sie den Bürgerkrieg simulieren, so ihre historisch begründete Hoffnung, springen ihnen nach Vorbild der frühen 1930er Jahre die Konservativen zur Seite, um wieder für „Ruhe und Ordnung“ zu sorgen. In einer Koalitionsregierung könnte die AfD wie seinerzeit die NSDAP ihr Zerstörungswerk beginnen, weshalb sie niemals an die Regierung kommen dürfe. Das große Verdienst des Buches liegt darin, klar aufzuzeigen, dass die Existenz der Bundesrepublik als demokratischer Rechtsstaat derzeit so bedroht ist wie niemals zuvor seit ihrer Gründung.

Einen erheblichen Anteil seines Buches widmet Ruch dem Versagen der etablierten Medien, vor allem den politischen Talkshows im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Statt Intellektuelle, Schriftsteller und Künstler nach der Deutung politischer Vorgänge zu fragen, was in den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik zu einer fruchtbaren öffentlichen Debatte geführt habe, dürften dort heute fast ausschließlich Spitzenpolitiker Werbung für sich machen. Maischberger, Will, Illner und Co. debattierten ohne Not mit Rassisten und Faschisten. Dabei ist für Ruch klar, dass nur die konsequente Ächtung von NPD, AfD, Identitären etc. weiteren Schaden verhindern könne. Wie sollte man mit diesen Leuten jemals zu einem Konsens kommen? Dass „ein bisschen“ Rassismus ganz in Ordnung ist, dürfe in einem demokratischen Gemeinwesen niemals akzeptiert werden.

So detailliert sich der Autor zurecht über das Fernsehen echauffiert, so wenig interessiert ihn das Internet. Dass sich die rechtsextremen Verfassungsfeinde häufig über das Netz organisieren, in ihrem Rassenhass gegenseitig aufschaukeln und ihre Verbrechen planen, streift Ruch in ein paar Nebensätzen. Online-Petitionen und andere Formen des zivilgesellschaftlichen Protestes gegen die neuen Nationalsozialisten hält er zwar für ehrenwert, aber nutzlos. Auch einige Randbemerkungen Ruchs erscheinen zweifelhaft: Obwohl er immer wieder richtigerweise betont, dass sich jeder Einzelne für die Humanität, die Achtung der Würde von Menschen auf der Flucht und gegen eine Kultur des Wegsehens und des Todes einsetzen müsse, lamentiert er gleichzeitig darüber, dass das fragile und schutzbedürftige Lebensrecht ungeborener Menschen verteidigt wird. Über diese Inkonsequenz kann man jedoch leicht hinwegsehen, weil das Buch insgesamt ein berührendes Dokument des unbedingten Willens zur Humanität ist.

„Schluss mit der Geduld“ ist aber nicht nur eine Zustandsbeschreibung, sondern vor allem ein Weckruf. Ruch stellt konkrete Forderungen an die Regierung, die Medien und seine Leserinnen und Leser: ein neuer Radikalenerlass müsse her, der es unmöglich machen soll, dass die Feinde des demokratischen Rechtsstaates in dessen Institutionen ein- und ausgehen. Faschistische Parteien wie die NPD und die AfD gehören für Ruch verboten. Die Medien müssten endlich aufhören, Angstszenarien der Rechtsextremisten zu verbreiten und sie wie normale politische Diskussionspartner zu behandeln. Wer den demokratischen Rechtsstaat verachte, müsse geächtet werden.

Ruch schildert auch seinen persönlichen Weg, die politischen Verhältnisse in diesem Land wieder gerade zu rücken: Durch Aktionskunst, die sich zwar fiktionaler Mittel bedient, dabei aber stets der Wahrheit und der Menschlichkeit verpflichtet ist. Ruch nennt das, in Anlehnung an eine Sentenz von Gotthold Ephraim Lessing, Maßnahmen politischer Schönheit. Uns allen ist zu wünschen, dass diesem wichtigen Werk viele Leser beschieden sein werden, damit unser Land politisch schöner wird.

Philipp Ruch: Schluss mit der Geduld. Jeder kann etwas bewirken. Eine Anleitung für kompromisslose Demokraten, Ludwig-Verlag München, 191 Seiten, 12 Euro

Wie ich einmal fast ins ARD-Fernsehen gekommen wäre

Am vergangenen Freitag saß ich mit meiner Familie in einem Amsterdamer Café, als das Telefon läutete. Es meldete sich eine Mitarbeiterin des Rundfunks Berlin-Brandenburg (rbb), die für das Fernsehmagazin Kontraste an einem Beitrag über den Rechtsruck in der CDU arbeitete. Sie war bei ihrer Recherche auf meinen Tweet zu Annegret Kramp-Karrenbauer gestoßen, in dem ich meinen Parteiaustritt erklärt hatte, und der zu über 22.000 Reaktionen von Twitterern geführt hatte:

Zu diesem Tweet, meinen früheren ehrenamtlichen Tätigkeiten für die CDU und meine Ansicht zur so genannten Werteunion befragte mich die Journalistin einige Minuten und meinte dann, dass das eine wunderbare Ergänzung zu ihrem Beitrag darstelle – ob ich wohl bereit wäre, dazu in den kommenden Tagen ein Interview aufzuzeichnen?

Da ich gerne Auskunft gebe, wenn man mich etwas fragt, und eine gewisse Eitelkeit mir ebenfalls nicht fremd ist, sagte ich kurzentschlossen zu. Das führte zu einer ganzen Reihe weiterer Telefonate, um einen Termin für die Aufzeichnung des Interviews zu finden. Die Redaktion schlug u.a. vor, dass ich den CDU-Ortsverband Haste (ein Stadtteil von Osnabrück) bei seinem alljährlichen Spargelessen mit meinem Unmut über den Rechtsruck der Partei konfrontieren sollte. Das könnte doch tolle Diskussionen und lebendige Bilder erzeugen. Diesen Vorschlag lehnte ich ab – erstens kenne ich so gut wie niemanden in diesem Ortsverband, zweitens möchte ich niemanden mit einem ARD-Fernsehteam beim Spargelessen stören (schon gar nicht den CDU-Ortsverband Haste, der mit hoher Wahrscheinlichkeit unschuldig am Treiben der so genannten Werteunion ist), und drittens hatte ich an diesem Abend schon einen beruflichen Termin in Hannover.

Wir einigten uns deshalb darauf, am vergangenen Dienstag ein Interview in Hannover zu führen. Ein von mir empfohlenes Restaurant in der Oststadt stellte eigens außerhalb der Öffnungszeiten seine Terrasse zur Verfügung, und zwei Baustellen an der Straße stellten zeitweise ihre Arbeit ein. Nach einem halben Schulungstag an unserer Krankenhausakademie, an der ich ein Seminar über Rechtsprobleme der Sterbehilfe gegeben hatte, kam ich etwas abgehetzt in der Nähe des Drehortes an. Ich bemerkte, dass mir die Haare wild vom Kopf abstanden. Schnell nahm ich deshalb noch einen kurzen Umweg zu einem in der Nähe gelegenen Supermarkt (oben sagte ich ja schon etwas zum Thema Eitelkeit), um einen Kamm oder eine Haarbürste zu erwerben. Allerdings musste ich bald feststellen, dass ich in das einzige Geschäft Mitteleuropas geraten war, das solche Gegenstände in ihrer Abteilung für Hygieneartikel nicht führte. Notdürftig strich ich mir also mit den Fingern die Haare glatt und eilte zum Drehort.

Dort begrüßten mich die Reporterin Cosima Gill, ein Kameramann und ein Mitarbeiter für den Ton. Ich war erstaunt, dass das Team gleich zwei Kameras mitgebracht hatte, während ich doch nur ein einziges Gesicht für den Beitrag zur Verfügung stellen konnte. Frau Gill erklärte das damit, dass sich die ARD für ihre Magazinsendungen eine hochwertigere Optik leiste, als das zum Beispiel bei Nachrichtensendungen wie der Tagesschau der Fall sei. Auch gäbe es in den Nachrichtenmagazinen deutlich mehr Zeit, um Hintergründe zu recherchieren, Beiträge zu konzipieren und zu schneiden. Der Zuschauer nehme das gut an, die Redaktion erhalte auch regelmäßig viele Reaktionen, und nach jeder Sendung gäbe es zudem eine professionelle externe Sendungskritik, die Verbesserungsvorschläge mache.

Dass man sich für mich als einfaches (ehemaliges) Parteimitglied von der Basis ohne Amt, Funktion und Ambitionen auf eine politische Karriere interessierte, erstaunte und erfreute mich natürlich. Frau Gill erläuterte mir, dass man im Kontraste-Beitrag zunächst über die Werteunion als Scharnier zur rechtsnationalen AfD berichten wolle und mich am Ende des Beitrags als ehemaliges „einfaches Mitglied“ zu Wort kommen lassen wolle, das sich (auch) deshalb von der CDU abgewendet habe. Das fand ich passend, weshalb ich dann über etwa zwei Stunden immer wieder erläuterte, warum ich nach 19 Jahren aus der CDU ausgetreten war: Das Statement der Parteivorsitzenden zur ihrer Ansicht nach notwendigen Regulierung der Meinungsfreiheit im Internet war nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hatte. Es ist tatsächlich so, dass mich der spürbare Rechtsruck in der CDU insgesamt besorgt , der sich auch durch die so genannte Werteunion ausdrückt.

Einige Statements musste ich ungefähr zehn Mal wiederholen, weil sie entweder zu lang waren, zu wenig „Emotionen rüberbrachten“ („Regen Sie sich doch mal richtig auf!“) oder weil ich entgegen der Regieanweisung direkt in die Kamera geschaut hatte. Dennoch attestierte mir Frau Gill später, dass viel brauchbares Material entstanden sei und ich mich für jemanden, der noch niemals ein Fernsehinterview geführt hatte, ganz ordentlich geschlagen hätte.

Mit dem Interview war die Sache allerdings noch nicht erledigt. Anschließend wurden noch so genannte „Schnittbilder“ gedreht, die in einem Beitrag verwendet werden können, während der Sprecher dem Zuschauer etwas erklärt. Ich tippte also wild in die Tasten meines Notebooks, öffnete diverse Tweets, schaute mit Frau Gill Bilder an, die Ausschnitte aus meiner früheren kommunalpolitischen Basisarbeit zeigen, und ging mit ihr mein eigens mitgebrachtes Austrittsschreiben durch, das ich vor ein paar Tagen an das Konrad-Adenauer-Haus gesendet hatte.

Nach einer weiteren halben Stunde waren auch diese Bilder im Kasten. Nun sollte es aber noch zu einem CDU-Plakat gehen, um dem Zuschauer auch eine optische Verbindung zur Partei zeigen zu können. Das Problem dabei: Einige Tage nach der Wahl waren die meisten Plakate der Parteien schon abgehängt worden, weil Bußgelder drohen, wenn man sie nach einer Wahl zu lange hängen lässt. Die CDU Hannover macht diesbezüglich eine hervorragende Arbeit, und wir mussten bis ans südliche Ende des Maschsees fahren, um noch einige Plakate zu entdecken. Vor denen lief ich dann noch etwas hin und her, um nochmals „mit langer Brennweite“ gefilmt zu werden.

Während der Fahrt durch die Stadt erfuhr ich von Frau Gill dann noch diverse Details zu den Produktionsprozessen in der Redaktion und Erlebnisse, die Reporterinnen und Reporter dieser Tage machen, wenn sie über Rechtsextreme berichten. Wer sich für die erschreckenden Details interessiert, mag auf dem Blog Medien.Macht.Verantwortung nachlesen. Bemerkenswert fand ich auch die Aussage, dass Menschen in Westdeutschland, die nicht interviewt werden wollten, dies einfach so sagten, während eine Absage in Ostdeutschland oft mit Beleidigungen und Beschimpfungen sowie Sprüchen über die „Lügenpresse“ und den „Staatsfunk“ verbunden seien.

Insgesamt sind an diesem Nachmittag mehr als 30 Gigabyte Rohmaterial entstanden, die noch am gleichen Abend geschnitten und in den Beitrag eingefügt werden sollten. An Tagen kurz vor der Sendung werde von der Redaktion über die Grenzen des Arbeitszeitgesetzes hinaus gearbeitet, dafür sei es dann aber in anderen Wochen etwas entspannter.

Zwei Tage später, am gestrigen Donnerstag, sollte der Beitrag dann gesendet werden. Etwa drei Stunden vor der Sendung erhielt ich einen Anruf, dass man es sehr bedauere, dass man mich aus dem Beitrag herausnehmen müsse. Kurzfristig hätte man noch Statements der CDU-Politiker Ruprecht Polenz und Elmar Brok erhalten und lange innerhalb der Redaktion diskutiert, was den Beitrag besser abschließen würde. Dabei sei dann mein Interview entfallen.

Ich bin darüber nicht besonders unglücklich. Die Entscheidung der Redaktion zeigt zwar, dass man dem ARD-Zuschauer immer noch lieber den etablierten Politikbetrieb zeigt als Akteure, die in den sozialen Netzwerken mitreden. Persönlich habe ich allerdings nur ein paar Stunden meiner Zeit geopfert und dabei viel über die Arbeit von Redaktionen und die technische Fernsehproduktion gelernt. Ein bisschen davon möchte ich mit diesem längeren Blogbeitrag teilen, der natürlich nicht enden soll, ohne auf den fertigen Beitrag der Kontraste-Redaktion zu verlinken.

Abmahnen, aber richtig

Im Zusammenhang mit meiner erfolgreichen Entsperrung durch Twitter werde ich gerade andauernd gefragt, wie so eine Abmahnung funktioniert. Das Vorgehen gegen Twitter hat die Kanzlei Löffel Abrar auf ihrem Blog vor einigen Tagen ganz richtig beschrieben. Die Abmahnung ist nach deutschem Recht notwendig, damit Twitter in einem gerichtlichen Verfahren einem Antragsteller bzw. Kläger nicht entgegenhalten kann, dass es über den Grund der Beschwerde nicht informiert worden sei. Außerdem, und das ist die wohl noch wichtigere Wirkung, setzt es ein deutliches Zeichen: Sie meinen es nun sehr ernst!

Auf vielfache Nachfrage habe ich eine kleine Hilfestellung niedergeschrieben. Sie soll alle unterstützen, die mit dem richtigen Text für das Abmahnungsschreiben ringen.

Achtung: Die folgende Anleitung richtet sich ausschließlich nach dem deutschen Recht. Sie gilt nicht für Österreich, nicht für die Schweiz, nicht für Belgien, nicht für Luxemburg und schon gar nicht für Länder außerhalb des deutschen Sprachraums. Falls Sie dortiger Twitter-Nutzer sind, fragen Sie einen freundlichen Advokaten Ihres Rechtssystems nach Rat!

Grundsätzlich gilt: Das folgende Muster ist nur ein Beispiel, wie man die Sache angehen kann, und sollte auf den individuellen Einzelfall angepasst werden. Ich übernehme auch keinerlei Gewährleistung und Haftung dafür, dass die Abmahnung erfolgreich ist und wie in meinem Fall zur Entsperrung des Accounts führt!

Wer es nach dieser Vorrede dennoch probieren möchte, Twitter abzumahnen, der muss sich zunächst klar machen, dass er an das Unternehmen ein Fax versenden sollte. Ja, Sie haben richtig gelesen: Im Jahre 2019 ist das Fax die sicherste Kommunikationsform gegenüber einem globalen Internetkonzern, denn ein Brief nach Irland (Twitter hat keinen offiziellen Geschäftssitz in Deutschland) bzw. in die USA hat eine relativ lange Laufzeit (was sich negativ auf das Fristerfordernis eines einstweiligen Verfügungsverfahrens auswirken könnte). Sie erhalten bei einem Brief, wie bei einer E-Mail, auch keinen Beleg, dass Ihre Abmahnung den Empfänger auch erreicht hat. Die gute alte Faxquittung ist daher Ihr Freund!

Sie adressieren Ihre Abmahnung also auf Ihrem eigenen Briefpapier an die

Twitter International Company
One Cumberland Place
Fenian Street
Dublin 2, D02 AX07
Ireland
Nur per Fax: +1-415-222-9958

Das Pluszeichen wird in Deutschland als zwei Nullen gewählt, die Vorwahl lautet also 001. Obwohl unser Adressat in Dublin sitzt, ist die einzige Faxnummer, die Twitter auf seinen Seiten selbst angibt, ein Anschluss im US-Bundesstaat Kalifornien (Vorwahl 415). Eigentlich ist die Faxnummer für die Meldung krimineller Aktivitäten gedacht, aber das soll uns nicht weiter bekümmern, denn nach der deutschen Rechtsprechung muss sich ein Unternehmen bzw. eine Behörde so organisieren, dass Schreiben über externe Kommunikationskanäle die richtige Stelle erreichen. Und wenn Twitter es nicht schafft, eine europäische Faxnummer anzugeben, dann ist das nicht das Problem des Verbrauchers.

Sie können übrigens das Schreiben getrost in deutscher Sprache verfassen. Das Angebot Twitters richtet sich in deutscher Sprache auf dem deutschen Markt an deutsche Verbraucher. Sie bereiten einen Rechtsstreit vor einem deutschen Gericht vor, das eine Entscheidung treffen soll, die über die europäischen Regelungen am Geschäftssitz von Twitter in Irland auch vollstreckungsfähig ist. Es ist dem Unternehmen daher problemlos zumutbar, ein deutsches Schreiben zu lesen und zu verstehen.

In die Betreffzeile schreiben Sie das Wort Abmahnung.

Danach könnte es wie folgt weitergehen:

Sehr geehrte Damen und Herren

ich bin Inhaber des Accounts @Besorgter_Twitternutzer (hier fügen Sie natürlich Ihren eigenen Twitternamen ein!) des von Ihnen unter der Adresse twitter.com betriebenen sozialen Netzwerkes. Aufgrund meines Tweets vom xx.yy.2019, xx:yy Uhr, haben Sie meinen Account am [Datum] gesperrt. Dies begründeten Sie damit, dass mein Tweet eine irreführende Information über Wahlen enthielte (oder was sonst der Sperrgrund in Ihrem Fall ist). Seither sind mir sämtliche Funktionen Ihres Netzwerks versperrt.

An dieser Stelle können Sie kurz beschreiben, warum Sie glauben, zu Unrecht gesperrt worden zu sein. Bei mir lautete die Begründung so:

Tatsächlich ist mein Tweet vom Recht auf Meinungsäußerungsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 GG umfasst. Dass es sich um eine ironische Bemerkung handelt, ist nicht zuletzt durch den Smiley am Ende des Tweets deutlich zu erkennen.

So kurz habe ich es tatsächlich gehalten. Sie müssen im Rahmen einer Abmahnung keine Romane schreiben – es reicht, den beanstandeten Verstoß kurz zu nennen, um dem Gegenüber die Möglichkeit der rechtlichen Überprüfung des Sachverhaltes zu geben. Sie können natürlich auch auf einen komplett missverstandenen Inhalt, übersehene Ironie, eine Äußerung im Rahmen Ihrer beruflichen oder geschäftlichen Tätigkeit etc. abheben – je nachdem, was auf Ihren Fall zutrifft.

Weiter geht es im Text:

Die Sperrung geschah daher rechtsmissbräuchlich. Sie verletzt weiterhin den zwischen uns bestehenden Nutzungsvertrag. Ich bin zudem bereits seit [Monat und Jahr] Nutzer Ihres Netzwerks. Ihre jüngsten Lösch- und Sperrregelungen haben Sie daher überhaupt nicht wirksam in den zwischen uns bestehenden Nutzungsvertrag einbezogen.

Seit wann Sie Twitter-Mitglied sind, können Sie auf Ihrem (wahrscheinlich auch ohne Login zugänglichen Profil) nachlesen. Wenn Sie nicht gerade in den letzten Tagen beigetreten sind, hat Twitter die Regeln zur Manipulation von Wahlen durch Falschinformationen mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht wirksam in das zwischen Ihnen und Twitter bestehende Vertragsverhältnis einbezogen.

Falls Sie Einspruch gegen die Sperrung erhoben haben, was dringend anzuraten ist, sollten Sie noch diesen Textbaustein einfügen:

Auf meine Einsprüche vom [Tag] und vom [Tag] haben Sie bisher nicht reagiert.

Sodann folgt, am besten fettgedruckt, der Anspruch, auf den Sie sich stützen und den Sie möglicherweise im einstweiligen Verfügungsverfahren weiterverfolgen wollen:

Ich fordere Sie daher nunmehr letztmalig dazu auf,  es zu unterlassen, den Tweet
„Hier steht der Tweet, um den es geht“
zu löschen und/oder mich wegen dieses Beitrags auf twitter.com zu sperren und/oder mir den Zugang zu dessen Funktionen zu verschließen.

Hierfür setze ich Ihnen eine letzte Frist bis zum
xx.yy.2019, xx.yy Uhr deutscher Zeit.

Der Reaktionszeitraum für Twitter sollte knapp, aber nicht zu kurz bemessen sein, damit das Netzwerk eine reale Gelegenheit zur Überprüfung hat. Da die Frist für ein einstweiliges Verfügungsverfahren nach deutschem Recht sehr kurz ist, schlage ich hier ein bis zwei Tage vor. Ich selbst habe Twitter rund 30 Stunden Zeit gegeben, und nach etwa zwölf Stunden (ein paar Stunden nach Arbeitsbeginn in Kalifornien) war mein Account entsperrt.

Folgen sollte nun der magische Satz

Sollten Sie bis zum Ende der Frist weiterhin untätig bleiben, werde ich unverzüglich gerichtlicher Hilfe nachsuchen, um meinen Anspruch durchzusetzen.

Nun sollte auch der Letzte verstanden haben, dass Sie es ernst meinen und notfalls ein einstweiliges Verfügungsverfahren anstrengen oder eine Klage erheben werden.

Ob Sie „Mit freundlichen Grüßen“ oder „Mit der Ihnen gebührenden Hochachtung“ grüßen wollen, bleibt völlig Ihnen überlassen. Sie sollten die Abmahnung allerdings noch handschriftlich unterschreiben.

Sodann kann das Fax auf die Reise gehen. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg!