Kategorie: Kunst

Schluss mit dem Faschismus!

Philipp Ruch, der Gründer und künstlerische Leiter des Zentrums für politische Schönheit, hat ein Buch mit dem Titel „Schluss mit der Geduld. Jeder kann etwas bewirken. Eine Anleitung für kompromisslose Demokraten“ vorgelegt. Wahrscheinlich handelt es sich um das wichtigste deutschsprachige politische Buch dieses Jahres.

Ruch skizziert zunächst den Aufstieg der AfD, die er zutreffend als faschistisch charakterisiert. Der Autor wertet an vielen Stellen des Buches seine Lektüre des Jahrgangs 1932 der politischen Zeitschrift „Weltbühne“ aus, und die Ähnlichkeiten zwischen den handelnden Akteuren der NSDAP und der AfD sind frappierend. Die Faschisten der damaligen Zeit haben mit den heutigen eine Gemeinsamkeit: Sie sprechen offen aus, was sie vorhaben, wenn sie einmal an die Macht kommen. Normale Menschen nehmen Forderungen wie die Vernichtung der europäischen Juden oder die Vertreibung aller Migranten aus Deutschland zunächst nicht ernst, weil sie sie zu absurd und lächerlich finden – ein schwerer Fehler, wie uns die Geschichte lehrt. Ruch schildert detailliert, wie sehr sich die Aussagen eines Höcke oder eines Kalbitz an jene von Hitler und Himmler anlehnen. Er zeigt auch, dass es die heutigen Faschisten mit ihren verfassungsfeindlichen Ideen eines völkischen Nationalstaats mit einer homogenen Volksgemeinschaft nicht aus eigener Kraft schaffen, an die Macht zu kommen. Sie benötigen dafür die Inszenierung eines Bürgerkrieges. Die ersten Anzeichen sind mit den Hetzjagden von Chemnitz (wie anders sollte man diese skandalösen Vorgänge bezeichnen) und dem Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke deutlich erkennbar. Die heutige SA nennt sich „Combat 18“, „Adolf-Hitler-Hooligans“, „NS-Boys“ oder „Hoonara“ (Hooligans, Nazis und Rassisten). Unterstützt werden die Rechtsextremisten von Bewunderern in Polizei und Verfassungsschutz, die dem demokratischen Rechtsstaat zwar Treue geschworen haben und von ihm leben, ihn jedoch innerlich verachten. Das prominenteste Beispiel hierfür ist der ehemalige Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen – der wohl größte Bock, der in diesem Land jemals zum Gärtner gemacht wurde.

Weil die Faschisten aus AfD, NPD, Identitären usw. allein niemals stark genug sind, um den demokratischen Rechtsstaat zu stürzen, bedienen sie sich politischer Unruhen. Wenn sie den Bürgerkrieg simulieren, so ihre historisch begründete Hoffnung, springen ihnen nach Vorbild der frühen 1930er Jahre die Konservativen zur Seite, um wieder für „Ruhe und Ordnung“ zu sorgen. In einer Koalitionsregierung könnte die AfD wie seinerzeit die NSDAP ihr Zerstörungswerk beginnen, weshalb sie niemals an die Regierung kommen dürfe. Das große Verdienst des Buches liegt darin, klar aufzuzeigen, dass die Existenz der Bundesrepublik als demokratischer Rechtsstaat derzeit so bedroht ist wie niemals zuvor seit ihrer Gründung.

Einen erheblichen Anteil seines Buches widmet Ruch dem Versagen der etablierten Medien, vor allem den politischen Talkshows im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Statt Intellektuelle, Schriftsteller und Künstler nach der Deutung politischer Vorgänge zu fragen, was in den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik zu einer fruchtbaren öffentlichen Debatte geführt habe, dürften dort heute fast ausschließlich Spitzenpolitiker Werbung für sich machen. Maischberger, Will, Illner und Co. debattierten ohne Not mit Rassisten und Faschisten. Dabei ist für Ruch klar, dass nur die konsequente Ächtung von NPD, AfD, Identitären etc. weiteren Schaden verhindern könne. Wie sollte man mit diesen Leuten jemals zu einem Konsens kommen? Dass „ein bisschen“ Rassismus ganz in Ordnung ist, dürfe in einem demokratischen Gemeinwesen niemals akzeptiert werden.

So detailliert sich der Autor zurecht über das Fernsehen echauffiert, so wenig interessiert ihn das Internet. Dass sich die rechtsextremen Verfassungsfeinde häufig über das Netz organisieren, in ihrem Rassenhass gegenseitig aufschaukeln und ihre Verbrechen planen, streift Ruch in ein paar Nebensätzen. Online-Petitionen und andere Formen des zivilgesellschaftlichen Protestes gegen die neuen Nationalsozialisten hält er zwar für ehrenwert, aber nutzlos. Auch einige Randbemerkungen Ruchs erscheinen zweifelhaft: Obwohl er immer wieder richtigerweise betont, dass sich jeder Einzelne für die Humanität, die Achtung der Würde von Menschen auf der Flucht und gegen eine Kultur des Wegsehens und des Todes einsetzen müsse, lamentiert er gleichzeitig darüber, dass das fragile und schutzbedürftige Lebensrecht ungeborener Menschen verteidigt wird. Über diese Inkonsequenz kann man jedoch leicht hinwegsehen, weil das Buch insgesamt ein berührendes Dokument des unbedingten Willens zur Humanität ist.

„Schluss mit der Geduld“ ist aber nicht nur eine Zustandsbeschreibung, sondern vor allem ein Weckruf. Ruch stellt konkrete Forderungen an die Regierung, die Medien und seine Leserinnen und Leser: ein neuer Radikalenerlass müsse her, der es unmöglich machen soll, dass die Feinde des demokratischen Rechtsstaates in dessen Institutionen ein- und ausgehen. Faschistische Parteien wie die NPD und die AfD gehören für Ruch verboten. Die Medien müssten endlich aufhören, Angstszenarien der Rechtsextremisten zu verbreiten und sie wie normale politische Diskussionspartner zu behandeln. Wer den demokratischen Rechtsstaat verachte, müsse geächtet werden.

Ruch schildert auch seinen persönlichen Weg, die politischen Verhältnisse in diesem Land wieder gerade zu rücken: Durch Aktionskunst, die sich zwar fiktionaler Mittel bedient, dabei aber stets der Wahrheit und der Menschlichkeit verpflichtet ist. Ruch nennt das, in Anlehnung an eine Sentenz von Gotthold Ephraim Lessing, Maßnahmen politischer Schönheit. Uns allen ist zu wünschen, dass diesem wichtigen Werk viele Leser beschieden sein werden, damit unser Land politisch schöner wird.

Philipp Ruch: Schluss mit der Geduld. Jeder kann etwas bewirken. Eine Anleitung für kompromisslose Demokraten, Ludwig-Verlag München, 191 Seiten, 12 Euro

Geraubte Kunst

Wenn man dieser Tage die Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland in Bonn besucht, kann man eine Ausstellung erleben, die im Grunde aus mehreren Ausstellungen besteht: Es handelt sich um die Bestandsaufnahme Gurlitt – Der NS-Kunstraub und die Folgen.

Wir erinnern uns: Im Jahre 2010 wurde der Münchner Cornelius Gurlitt, Sohn und Erbe des Kunsthistorikers und Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt, in einem Zug von Zürich nach München von deutschen Zollfahndern kontrolliert, die 9.000 Euro bei ihm fanden. Daraufhin wurden eineinhalb Jahre später wegen eines Anfangsverdachts auf Steuerstraftaten die Wohnung von Cornelius Gurlitt durchsucht und mehr als 1.200 Kunstwerke beschlagnahmt. Alleine in einem einzigen Koffer haben die Ermittlungsbeamten über einhundert Kunstwerke gefunden. Später wurden noch mehr als 200 weitere Kunstwerke in Gurlitts Haus in Salzburg sichergestellt – teilweise in beklagenswertem Zustand, von Schimmel und Spinnweben befallen.

Originalkoffer aus der Münchner Wohnung von Cornelius Gurlitt, in dem Fahnder über einhundert Kunstwerke fanden.

Die Durchsuchungen und Beschlagnahmen sind rechtlich eher zweifelhaft zustande gekommen. Woraus sich ein Tatverdacht ergibt, wenn jemand beim Grenzübertritt eine erlaubte Menge Geld mit sich führt, bleibt wohl das Geheimnis der bayerischen Behörden. Der Fall geriet Ende 2013 durch Berichte in der Presse in das Bewusstsein der allgemeinen Öffentlichkeit, wobei die Angaben zum Wert der Kunstwerke oft maßlos übertrieben worden sind.

Interessant ist, dass Cornelius Gurlitt alle als belastet geltenden Werke freiwillig zur Überprüfung ihrer Herkunft zur Verfügung gestellt hat und, falls sich der Verdacht von NS-Raubkunst bestätigen sollte, eine faire Lösung mit den Anspruchstellern versprach. Dazu wäre er rechtlich nicht verpflichtet gewesen – zivilrechtlich sind alle Ansprüche auf Rückgabe oder Entschädigung seit langem verjährt, und es gibt kein Gesetz, das Private dazu verpflichtet, die Herkunft ihrer Kunstwerke durch irgendjemanden überprüfen zu lassen. Cornelius Gurlitt verstarb im Mai 2014, in seinem Testament hat er die Stiftung des Kunstmuseums Bern als Alleinerbin eingesetzt.

Was ist nun im Museum zu sehen? Sowohl in der Bundeskunsthalle als auch im Kunstmuseum Bern werden in Parallelausstellungen derzeit Teile der Sammlung Gurlitt gezeigt. Während das Schweizer Museum den Schwerpunkt auf die von den Nazis verfemte „Entartete Kunst“ legt, werden in Bonn rund 250 Werke aus hunderten Jahren Kunstgeschichte gezeigt. Dabei sieht man einerseits eine wunderschöne Sammlung von Gemälden, Zeichnungen und Skulpturen, die Hildebrand Gurlitt, der Vater von Cornelius, als geschmackvoller Kenner und Händler der europäischen Kunst über Jahrzehnte zusammengetragen hat: Kupferstiche von Albrecht Dürer finden sich dort ebenso wie Ölgemälde von Pierre-Auguste Renoir, Zeichnungen von Max Liebermann , Skulpturen von Auguste Rodin oder Grafiken von Karl Schmidt-Rottluff.

Detail des Gemäldes „Kirmes im Dorf“ von Anton Mirou aus dem Jahre 1604.

Die Freude über die Schönheit und Meisterhaftigkeit der Exponate wird aber durch die zweite Ebene der Ausstellung sogleich wieder zunichte gemacht: Sie zeigt, welches Kunstprogramm das nationalsozialistische Deutschland verfolgte, wie es mit der modernen Kunst brach, viele Kunstwerke zerstörte und binnen weniger Jahre in ganz Europa teils durch hohe Geldsummen, teils durch Druck und Verbrechen große Sammlungen aufbaute. Adolf Hitler selbst stellte die Hauptwerke hochrangiger Privatsammlungen zunächst in Österreich, später in ganz Europa unter den so genannten „Führervorbehalt“, der nichts anderes als Enteignungen für die Privatsammlung Hitlers und verschiedene geplante Kunstmuseen in österreichischen Städten bedeutete, darunter das niemals realisierte „Führermuseum“ in Linz.

Für diesen „Sonderauftrag Linz“ war unter anderem Hildebrand Gurlitt zuständig, der mit schier unerschöpflichen Geldmitteln ausgestattet war, um in ganz Europa Kunst anzukaufen. Die Bonner Ausstellung zeigt allerdings auch, dass es dieses oft nicht bedurfte, wenn zum Beispiel die Sammlungen jüdischer oder politisch als feindlich klassifizierter Familien in Frankreich beschlagnahmt wurden. Das Schicksal einer ganzen Reihe von solchen privaten Sammlern wird in der Ausstellung dokumentiert. Neben den Erwerbungen für die Nationalsozialisten erweiterte Gurlitt auch beständig seine eigene Sammlung – ob rechtmäßig oder nicht, ist für viele der gezeigten Werke noch ungeklärt. Neben jedem Bild der Austellung ist daher der aktuelle Stand der Provenienzforschung zu lesen.

Dass sich im Nationalsozialismus alle gesellschaftlichen Schichten der „Volksgemeinschaft“ an geraubten Gütern unrechtmäßig bereicherten, macht diese in der Ausstellung gezeigte Fotografie einer Versteigerung „verwaisten jüdischen Eigentums“ in Lörrach deutlich.

Diese Nachforschung nach der Herkunft und dem Verbleib der Bilder, im Idealfall durchgehend vom Künstleratelier bis ins Museum, ist die dritte Ebene der Ausstellung. Oft sind die Kunstwerke ungenau beschrieben worden – so weiß man oft nur durch Zufall, welches der zum Beispiel drei gezeigten Damenportraits in der Ausstellung in einer bestimmten Auktion verkauft wurde, weil nähere Beschreibungen und der Künstlername fehlen. Im Fall der drei portraitierten Damen gab ein Loch im Gemälde den entscheidenden Hinweis.

Leider ist die Darstellung der Provenienzforschung, deren Methoden die Ausstellung nur in wenigen Ansätzen beschreibt, ein Schwachpunkt in der Konzeption der Bundeskunsthalle. Hier hätte man sich über die gezeigten Texte und Videos hinaus wesentlich mehr Informationen zu Verfahren, Recherequellen und dem Stand der Forschung gewünscht. Auch ein Katalog zur Ausstellung, in dem man dieses Thema hätte vertieft darstellen können, wird schmerzlich vermisst. Darin hätten auch die schwierige Problematik der rückwirkenden Bewertung der „Freiwilligkeit“ von Notverkäufen jüdischer Kunsteigentümer oder so verbrecherische Enteignungen wie die „Reichsfluchtsteuer“ eingehender beschrieben werden können. Positiv zu vermerken ist allerdings, dass auf der Website der Bundeskunsthalle alle gezeigten Kunstwerke in einer Datenbank dargestellt werden und dass Fotografieren in der Ausstellung sowie das Teilen in den sozialen Netzwerken ausdrücklich erwünscht sind – auch das kann schließlich Hinweise darüber bringen, ob Stücke der Sammlung rechtmäßig erworben wurden oder nicht.

Ganz am Ende der Ausstellung erfährt man, dass Hildebrand Gurlitt nach dem Krieg die Entnazifizierungsbehörden und frühere Besitzer von Kunstwerken sowie deren Rechtsanwälte über den Verbleib seiner Geschäftsbücher systematisch belogen hat – die Unterlagen verbrannten nicht in Dresden. Schon im Jahre 1948 war Gurlitt wieder als Leiter des Kunstvereins in Düsseldorf tätig war. Er starb im Jahre 1956 als geachteter Mann durch einen Autounfall und hinterließ seinem Sohn Cornelius ein schwieriges Erbe. Cornelius Gurlitt mied zeitlebens die Öffentlichkeit, sorgte zum Schluss aber dafür, dass unrechtmäßig erworbene Kunstwerke jetzt und in Zukunft an die Rechtsnachfolger der ursprünglichen Eigentümer zurückgehen können. Die Stiftung Kunstmuseum Bern ist als Erbin nämlich an diese Zusage gebunden.

Die Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland hat sich eines schwierigen und für Deutschland schmerzhaften Themas angenommen, das sie überzeugend präsentiert. Dafür gebühren ihr – gerade in Zeiten, in denen die ideologischen Nachfolger der nationalsozialistischen Täter erstmals nach 1945 wieder ins deutsche Parlament eingezogen sind – Dank, Anerkennung und viele Besucher.

Die Ausstellung „Bestandsaufnahme Gurlitt. Der NS-Kunstraub und die Folgen“ ist noch bis zum 11. März 2018 in der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland in Bonn zu sehen. Die Parallelausstellung „Entartete Kunst – Beschlagnahmt und verkauft“ wird noch bis zum 4. März 2018 im Kunstmuseum Bern gezeigt.