Kategorie: Medizinethik

Das Coronavirus in der Patientenverfügung

Je mehr Menschen sich mit dem Corona-Virus infizieren und je stärker das Virus mutiert, desto häufiger ist mit schweren Krankheitsverläufen zu rechnen. Viele dieser schwer erkrankten Patienten werden beatmungspflichtig, was in manchen Fällen sogar einen wochen- oder sogar monatelangen Gasaustausch des Blutes durch eine Maschine (so genannte extracorporale Membranoxygenierung, ECMO) notwendig macht.

Wer eine solche Behandlung bei schlechter Prognose trotz der dadurch entstehenden Gefahr für das eigene Leben ablehnt, hat die Möglichkeit, dies in einer Patientenverfügung festzulegen. Die Patientenverfügung ist, nicht zuletzt aufgrund der jüngeren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, mit vielerlei rechtlichen Problemen verbunden. Sie verlangt dem medizinischen Behandlungsteam zudem eine Auslegung mit oft schwersten Folgen ab. Dabei kannten die Behandler den betroffenen Patienten und seine Einstellung zu Leben, Krankheit und Tod vor der Behandlung zumeist persönlich nicht.  Vorteilhaft ist es deshalb, eine Patientenverfügung mit einer Vorsorgevollmacht und/oder einer Betreuungsverfügung zu verbinden, so dass im Idealfall eine Person mitberaten und -entscheiden kann, die den Patienten und seine Wünsche kennt.

Grziwotz/Grziwotz weisen in ihrem Aufsatz „CoronaPatientenverfügung und Triage“ (in NZFam 2021, 189, 191) zutreffend darauf hin, dass die üblichen im Internet und im Buchhandel kursierenden Vordrucke für eine Patientenverfügung nur in aussichtslosen Situationen am Lebensende Anwendung finden. Deshalb verbietet sich ihre Berücksichtigung für Entscheidungen über eine Beatmung bei der üblichen Corona-Behandlung sowie im Rahmen einer Triage.

Es stellt sich daher die Frage, wie eine Formulierung in einer Patientenverfügung aussehen kann, die berücksichtigungsfähig ist, wenn der unmittelbare Sterbeprozess noch nicht eingesetzt hat. Das Selbstbestimmungsrecht sollte meiner Ansicht nach nämlich auch in dem Fall Berücksichtigung finden, dass ein Patient bei einer schlechten medizinischen Prognose für sich eine potentiell langwierige Beatmungstherapie ablehnt.

Zusammen mit einem befreundeten Krankenhausarzt, der diese Entscheidung für sich so getroffen hat, habe ich den folgenden Text für eine Patientenverfügung entworfen, den ich hier gerne mit Kolleginnen und Kollegen aus dem rechtlichen und medizinischen Bereich sowie allen Interessierten teilen und zur Diskussion stellen möchte:

 

Im Falle eines schweren Infektionsverlaufes mit erheblicher Einschränkung des pulmonalen Gasaustausches wünsche ich auch dann, wenn ich mich noch nicht im unmittelbaren Sterbeprozess oder im Endstadium einer unheilbaren, tödlich verlaufenden Krankheit befinde, eine künstliche Beatmung nur dann, wenn nach aktuellem Stand des medizinischen Wissens und der ärztlichen Erfahrung diese Maßnahme eine vorübergehende therapeutische Option darstellt und mit einem Wiedererwachen und einer Verbesserung der Lungenfunktion mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gerechnet wird.

Mir ist bewusst, dass das Unterlassen bzw. die Beendigung der künstlichen Beatmung für mich Lebensgefahr und den Tod zur Folge haben kann. Dies nehme ich in Kauf.

Sollte sich unter einer invasiven Beatmung und allem sonstigen intensivmedizinischen Bemühen keine Verbesserung oder gar eine Verschlechterung des pulmonalen Gasaustausches oder jedweder anderen Organfunktion einstellen, so wünsche ich, dass die Therapie beendet wird. In diesem Fall sollen dann alle palliativmedizinischen Maßnahmen ergriffen werden, um mir Schmerzen, Luftnot, Angst oder sonstige Leiden zu nehmen. Sollten hierbei Medikamente eingesetzt werden, welche mein Bewusstsein dämpfen oder atemdepressive Wirkung haben und hieraus eine ungewollte Verkürzung meiner Lebenszeit resultiert, so nehme ich dieses in Kauf.

Eine extracorporale Membranoxygenierung (ECMO) wünsche ich ausdrücklich nicht.

 

Diese Formulierung ist noch nicht in der Praxis erprobt und daher auch noch nicht durch die Rechtsprechung abgesichert. Wenn Sie sie für sich verwenden wollen, so geschieht dies auf Ihre eigene Gefahr!

Der Wortlaut geht deutlich über den üblichen Anwendungsbereich der bisherigen Patientenverfügungen hinaus, indem er ihn auf eine präterminale Beatmungssituation einer schweren pulmonalen Erkrankung vorverlagert. Meines Erachtens ist dies allerdings von der Legaldefinition des § 1901a Abs. 1 und 3 BGB umfasst, weil die Norm Einwilligungen und Untersagungen in alle Arten von Untersuchungen, Heilbehandlungen und ärztliche Eingriffe vorsieht. Dies ist ein direkter Ausfluss des grundrechtlich abgesicherten Selbstbestimmungsprinzips über den eigenen Körper. Außerdem ist jede Patientenverfügung darauf zu überprüfen ist, ob ihr Wortlaut auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutrifft.

Auch dieser Formulierungsvorschlag enthält natürlich Unsicherheiten – was genau ist unter einer Verbesserung, was unter einer Verschlechterung des pulmonalen Gasaustauschs und anderer Organfunktionen zu verstehen? Wie begründet sich die Prognoseentscheidung für oder gegen ein Wiedererwachen des Patienten? Und kann man den Abbruch einer Beatmung dem Unterlassen von Anfang an einfach so gleichstellen? All diese Frage stellen sich auch in anderen Fallkonstellationen, in denen eine Patientenverfügung vorhanden ist. Sie müssen individuell und eng am jeweiligen Sachverhalt beantwortet werden.

Meine Seminare zu den Vorsorgedokumenten schließe ich immer mit der Bemerkung, dass Patientenverfügungen imperfekte Instrumente für imperfekte Situationen sind. Sie sind aber das Beste, das wir derzeit tun können, um unsere Wünsche durchzusetzen, falls wir in eine gesundheitliche Situation kommen, in der wir unseren Willen selbst nicht mehr äußern können.

Das dritte Geschlecht

Vor rund 15 Jahren habe ich mich mit der Frage der Anerkennung eines dritten Geschlechts für Intersexuelle beschäftigt und dazu auch (mit meinem akademischen Lehrer Andreas Frewer) publiziert. Das Bundeskabinett hat das dritte Geschlecht aufgrund einer Verpflichtung durch einen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts nunmehr anerkannt und will einen entsprechenden Gesetzesvorschlag einbringen. Damals war ich der Ansicht, dass der Gesetzgeber eine solche Entscheidung nicht treffen sollte, weil es für die Betroffenen – oft Babys und kleine Kinder – kaum Vorteile, aber erhebliche Nachteile aufgrund von Diskriminierung in Kindergärten, Schulen und an anderen Orten gäbe.

Für diese Auffassung bin ich in der Literatur teils gelobt, teils aber auch heftig kritisiert worden. Nach eineinhalb Jahrzehnten, viel Lektüre und Gesprächen mit Betroffenen sehe ich die Sache nunmehr anders als früher. Die in der früheren medizinischen Fachliteratur genannte Krebsgefahr durch undifferenziertes, entartetes gonadales Gewebe scheint in der Realität längst nicht so groß zu sein, wie befürchtet. Man kann also ein drittes Geschlecht vergeben und zuwarten, ob die betroffene Person in Kindheit, Jugend und Erwachsenenleben zu einem der beiden traditionellen Geschlechter tendiert und es dahin ändern möchte, oder ob es beim dritten Geschlecht verbleibt.

Durch die „Ehe für alle“ ist ein weiteres Argument gegen das dritte Geschlecht entfallen. Denn dadurch, dass nunmehr klargestellt ist, dass jeder Mensch jeden anderen heiraten darf, gleich welches Geschlecht diese Person hat, spricht auch nichts dagegen, dass Intersexuelle Männer, Frauen oder andere Angehörige des dritten Geschlechts heiraten.

Was bleibt, ist allein das Diskriminierungsargument:  Hänseleien, Ablehnung und handfesten Benachteiligungen im sozialen Umfeld werden sich intersexuelle Menschen voraussichtlich auch nach der staatlichen Anerkennung eines dritten Geschlechts stellen müssen. Es liegt an uns allen, aktiv dagegen anzukämpfen.