Vor rund 15 Jahren habe ich mich mit der Frage der Anerkennung eines dritten Geschlechts für Intersexuelle beschäftigt und dazu auch (mit meinem akademischen Lehrer Andreas Frewer) publiziert. Das Bundeskabinett hat das dritte Geschlecht aufgrund einer Verpflichtung durch einen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts nunmehr anerkannt und will einen entsprechenden Gesetzesvorschlag einbringen. Damals war ich der Ansicht, dass der Gesetzgeber eine solche Entscheidung nicht treffen sollte, weil es für die Betroffenen – oft Babys und kleine Kinder – kaum Vorteile, aber erhebliche Nachteile aufgrund von Diskriminierung in Kindergärten, Schulen und an anderen Orten gäbe.
Für diese Auffassung bin ich in der Literatur teils gelobt, teils aber auch heftig kritisiert worden. Nach eineinhalb Jahrzehnten, viel Lektüre und Gesprächen mit Betroffenen sehe ich die Sache nunmehr anders als früher. Die in der früheren medizinischen Fachliteratur genannte Krebsgefahr durch undifferenziertes, entartetes gonadales Gewebe scheint in der Realität längst nicht so groß zu sein, wie befürchtet. Man kann also ein drittes Geschlecht vergeben und zuwarten, ob die betroffene Person in Kindheit, Jugend und Erwachsenenleben zu einem der beiden traditionellen Geschlechter tendiert und es dahin ändern möchte, oder ob es beim dritten Geschlecht verbleibt.
Durch die “Ehe für alle” ist ein weiteres Argument gegen das dritte Geschlecht entfallen. Denn dadurch, dass nunmehr klargestellt ist, dass jeder Mensch jeden anderen heiraten darf, gleich welches Geschlecht diese Person hat, spricht auch nichts dagegen, dass Intersexuelle Männer, Frauen oder andere Angehörige des dritten Geschlechts heiraten.
Was bleibt, ist allein das Diskriminierungsargument: Hänseleien, Ablehnung und handfesten Benachteiligungen im sozialen Umfeld werden sich intersexuelle Menschen voraussichtlich auch nach der staatlichen Anerkennung eines dritten Geschlechts stellen müssen. Es liegt an uns allen, aktiv dagegen anzukämpfen.