Schlagwort: Politik

Zurüstung gegen die Moralverächter

Es gibt nur sehr wenige Bücher, die ich direkt nach dem Kauf in einem Rutsch verschlinge. Zu ihnen gehört seit heute Anne Rabes hellsichtiges Plädoyer Das M-Wort. Gegen die Verachtung der Moral. Auf gut 200 Seiten spannt die Autorin einen Bogen vom deutschen Historikerstreit der 1980er Jahre über die Geopolitik seit 1989, die rassistischen Diskurse der deutschen Innenpolitik, Thilo Sarrazins anti-wissenschaftliches Machwerk Deutschland schafft sich ab, den Aufstieg der verfassungsfeindlichen AfD (trotz aller gelebten Widersprüche ihres Führungspersonals und ihrer programmatischen Nähe zum Nationalsozialismus) bis hin zur Nutzung von KI durch skrupellose Tech-Eliten, die die von ihnen angestrebten Machtstrukturen mit allen Mitteln gesellschaftlich durchsetzen wollen.

Besonders erschütternd ist Rabes auf Seite 75 zu findende, fast flehentliche Bitte an männliche Leser, beim Thema Gewalt gegen Frauen nicht auszusteigen. Wie brutal und verschlagen viel zu viele Männer vorgehen, um Frauen zu sexualisieren, zu verletzen und zu gefügigen Objekten männlicher Lust und Dominanz zu degradieren, kann auf den nachfolgenden Seiten eindrucksvoll besichtigt werden. Dieser Rezensent wünscht sich, dass solche Männer Einzelfälle und die Bitte Rabes an ihre männlichen Leser überflüssig wären. Leider ist das Gegenteil der Fall.

Auf fast allen gesellschaftlichen Gebieten, so konstatiert Rabe, fänden derzeit Rückzugsgefechte der Vernunft und der Moral statt – sei es bei der Besteuerung von Kapital, der Umweltpolitik und dem Klimaschutz, der gewaltfreien Kindererziehung oder der leider immer unzureichenderen Finanzierung der Sozialsysteme. Durch rechte Narrative der Ungleichheit werde das Leben aller Menschen schlechter, jetzt und in Zukunft. Eindrucksvoll unterstreicht Rabe dies immer wieder durch eingestreute persönliche Berichte, Tagebuchnotizen, Gespräche mit Freunden und Schilderungen aus der Kommunalpolitik der ostdeutschen Provinz. Dabei hat sie kein weiteres „Ostbuch“ geschrieben, und das überwiegend faktenfreie Gejammere eines Dirk Oschmann ist ihr glücklicherweise vollkommen fremd.

Rabes Beobachtungen und Schlüsse treffen letztlich auf ganz Deutschland zu, lediglich die demographische und finanzielle Situation der vielbeschworenen Zivilgesellschaft mag in Westdeutschland (noch) deutlich günstiger sein. Über kleinere sachliche Fehler (z.B. die unzutreffende Gleichsetzung des Berliner Verwaltungsgerichts mit dem Kammergericht auf S. 189) sieht man auch deshalb gern hinweg, weil man als aufmerksamer Leser bei wirklich jedem (!) der zahlreichen aufgeworfenen Themen laut „Ja“ rufen möchte. Viele Stellen der auch sprachlich immer treffenden Formulierungen möchte man am liebsten rot unterstreichen und mit Ausrufungszeichen versehen. Soviel politische Vernunft, menschliche Klugheit und zugleich Herzenswärme hat dieser Rezensent bisher noch in keinem Sachbuch zur aktuellen Situation des Landes finden können.

Schließlich ist das Buch trotz aller beschriebenen Gefahren für das Abrutschen der „westlichen“ demokratischen Gesellschaften ins Autoritäre sogar tröstlich. Rabe konstatiert mehrfach: „Es könnte schlimmer sein.“ Und damit hat sie recht, denn noch gibt es in Deutschland weit mehr Demokraten als Feinde der Demokratie. Noch haben die neuen Nazis Angst vor Staatsanwälten und Gerichten. Noch haben wir eine demokratische Verfassung und eine lebendige Zivilgesellschaft. Zudem scheint aus Sicht der Evolution die Verschiedenheit der Menschen und ihre Fähigkeit zur friedlichen Kooperation erfolgreicher zu sein als die Möglichkeit des Menschen, sein eigener Wolf zu werden. Rabe schildert all dies eindrücklich an zahlreichen Beispielen. Eines davon ist die Integration des größten Teils der seit 2015 nach Deutschland geflüchteten Syrer – eine Erfolgsgeschichte, die vom rechten Rand zumeist unterdrückt oder verdreht wird.

Anne Rabe legt den Demokraten für die Verteidigung der Moral und der Vernunft auch einige Waffen in die Hand: Die Stärkung der ökonomischen Gleichheit durch eine weitaus stärkere Besteuerung des Kapitals als heute, eine verstärkte staatliche Unterstützung des Kampfes gegen rechts, ein AfD-Parteiverbot und nicht zuletzt die vielen guten Argumente in unser aller Umfeld können Wirkung entfalten, wenn wir als Demokraten für den demokratischen Rechtsstaat kämpfen und ihn nicht vom rechten Zeitgeist erodieren lassen. Dabei Kapitalismus und Privateigentum völlig zu verabschieden, kommt Rabe nicht in den Sinn – gut so, denn bisher hat sich kein anderes gesellschaftliches System als so menschenrechtsfördernd erwiesen wie eine rechtsstaatlich stark abgefederte soziale Marktwirtschaft. Sie muss allerdings erst wieder wahrhaft sozial werden. Allen Mitstreitern für Demokratie, Menschenrechte und eine bessere Welt sei Anne Rabes neuestes Werk mit Nachdruck ans Herz gelegt.

Anne Rabe: Das M-Wort. Gegen die Verachtung der Moral. Erschienen bei Klett-Cotta, Stuttgart 2025, 20,00 €.

Facebook ist kaputt, oder:
Warum ich wieder blogge

Als ich mich im Herbst 2006 bei Facebook angemeldet habe, wurde in Deutschland gerade ein Netzwerk namens Studi-VZ populär. Dessen amerikanisches Vorbild Facebook war noch klein, fein und komplett in englischer Sprache gehalten. Damals saß ich in der kleinen Bibliothek des International Student House in der Nähe des Washingtoner Dupont Circle, legte ein Profil an und vernetzte mich mit meinen Freunden aus den USA, Südkorea, Japan und Taiwan. Mit ihnen lebte, lernte und feierte ich zusammen. Gesprochen haben wir über akademische Themen, den aktuellen und zukünftigen Berufsweg, die Familie und natürlich über dies und das. Deutsche Freunde nutzen Facebook damals so gut wie überhaupt nicht.

Elf Jahre später bietet Facebook ein komplett anderes Bild. Das Netzwerk ist seit Oktober 2010 auch in Deutschland aktiv und hat mittlerweile zwei Milliarden mindestens einmal im Monat aktive Nutzer, davon 31 Millionen in Deutschland. Das einstige Akademiker-Netzwerk ist für den Warenabsatz, zur Jobsuche, als Newsportal und im politischen Meinungskampf mittlerweile für viele unverzichtbar geworden.

Aber diese Relevanz hat auch Schattenseiten. Zumindest in seinem deutschsprachigen öffentlichen Teil ist Facebook vielerorts zu einer Kloake des blanken Hasses und des offenen Rassismus verkommen. Wenn man sein Profil komplett privat hält und sich nur mit seinen Freunden und Bekannten austauscht, erreicht man eventuell noch einen gewissen Nutzwert des Netzwerks. In den öffentlichen Bereichen tobt allerdings der Mob, und der ist immer häufiger völkisch-national, fremden- und demokratiefeindlich sowie zutiefst blaubraun gefärbt. Typisch für diese Angriffe ist, dass sie oft in himmelschreiend schlechter Orthografie vorgetragen werden, während zugleich oft die Höhe der deutschen Kultur im Vergleich zum Islam, den USA oder der jeweils tagesaktuell feindlichen Gruppe beschworen wird.

Kaum jemand, der auf Facebook mit offenem Visier und unter realem Namen völlig normale Kommentare zu Politik, Wirtschaft oder Kultur abgibt, ist dort noch nicht von den unterschiedlichsten Polit-Aktivisten und einer Horde von Trollen und Fake-Profilen angegriffen, denunziert oder sogar bedroht worden. Oft sind diese Profile nur wenige Tage oder sogar Stunden alt und tarnen sich mit allerlei unechten Namen, Profilbildern von Haustieren oder gestohlenen Fotografien.  Mehr als einmal wurden mir selbst ungewollte Hausbesuche, Körperverletzungen oder sogar die Vergewaltigung meiner Frau angedroht.

Trotz Druckes aus der Politik und des verunglückten Netzwerk-Durchsetzungsgesetzes (NetzDG) (das von dem recht hohen illiterarischen Anteil der rechtsextremen Facebook-Horden oft fälschlich zum „Netzwerk-Durchsuchungsgesetz“ umdeklariert wird), tut Facebook recht wenig, um den rechtsextremen Tendenzen Herr zu werden. Das mag sich einerseits durch die Unfähigkeit und Überforderung der Mitarbeiter der Bertelsmann-Tochter Arvato erklären, die Facebook als deutsche Kontrollinstanz engagiert hat. Andererseits wird aber auch das geschäftliche Kalkül des Netzwerks einen gehörigen Anteil haben, denn die AfD und ihre Klientel sind dankbare Werbekunden, die von Facebook im Bundestagswahlkampf sogar strategisch beraten wurden, wie sie ihre fake news am wirkungsvollsten in den digitalen Äther streuen und bei den Wählern maximale Wirkung erzielen können.

Gesperrt werden dagegen seit Monaten immer mehr Menschen, die darüber nicht länger schweigen und ihre Stimme gegen Rassisten und Rechtsextremisten erheben. Dahinter mag auch die Strategie dieser Leute stecken, kritische Kommentare massenhaft über von Einzelnen gesteuerte Accounts zu melden, so dass eine automatische Sperrung erfolgt. Automatisierte Sperrsysteme, die allein auf die Zahl von Meldungen reagieren, sind mit Zitaten von verfassungsfeindlichen und volksverhetzenden Äußerungen und erst recht mit Stilmitteln wie Ironie und Sarkasmus ganz offenbar noch überfordert. So passierte es auch mir mehrfach, dass ich in politischen Diskussionen plötzlich für einen oder mehrere Tage gesperrt wurde.

Ein solches bewusst dysfunktionales System möchte ich nicht mehr in dem Maße aktiv unterstützen, wie ich es bisher getan habe. Außerdem möchte ich die Kontrolle über meine Inhalte und die Diskussionen mit Freunden und Bekannten behalten – unabhängig davon, ob das einer rechtsextremen Klickarmee und einem schlecht programmierten Algorithmus gefällt oder nicht.

Allerdings habe ich weltweit auch noch hunderte von Freunden und Bekannten auf Facebook, und eine ähnlich funktionale Alternative für diese Plattform ist leider noch nicht in Sicht. Daher werde mich nicht komplett von Facebook zurückziehen. Allerdings wird diese Plattform für mich hinsichtlich meiner Social-Media-Aktivitäten nur noch dritte Wahl sein. Ich habe mich ganz bewusst dafür entschieden, mein zu Studien- und Referendarszeiten geführtes Blog Obiter dictum wieder zu reaktivieren. Gleichzeitig twittere ich wieder erheblich mehr als früher. Sowohl die hiesigen Blogbeiträge als auch die Twitter-Tweets erscheinen auf meinem Facebook-Profil.

Die Facebook-, Instagram- und Messenger-Apps auf meinem Smartphone habe ich mittlerweile gelöscht. Wer sicher gehen will, mich zu erreichen, sollte daher nicht auf Facebook, sondern entweder hier einen Kommentar hinterlassen, mich auf Twitter kontaktieren oder ganz altmodisch eine E-Mail schreiben. Ich freue mich über (fast) jeden Kommentar zu den künftigen Artikeln in diesem Blog. Allerdings gebe ich auch ein Wort der Warnung mit auf den Weg: Wer glaubt, er könne hier auf dem gleichem Niveau wie bei Facebook rechtsextreme Hetzparolen von sich geben, wird daran nicht lange Freude haben, Als linksgrünversiffter antideutscher Rotfaschist (früher auch bekannt als CDU-Mitglied) bin ich es nämlich mittlerweile gewohnt, bei demokratie- und rechtsstaatswidrigen Sprüchen auf das Lösch-Knöpfchen zu drücken.

In diesem Sinne: Auf ein Neues!